Es gibt so einiges im Leben, das kalkulierbar, planbar und prognostizierbar ist. Darauf können wir uns vorbereiten und Sicherheiten schaffen. Daneben gibt es noch die großen Unbekannten, denn Leben ist das, was abseits der Planung passiert. Für das Unbekannte gibt es nur wenige prophylaktische Maßnahmen, die uns Halt geben und oft fordern sie deshalb unseren ganzen Mut zur Veränderung.
Für die Vorbereitung auf das Unbekannte gibt es nur eine Strategie und das ist zu lernen mutig zu sein, sich darauf einzulassen den eigenen Weg zu gehen, ohne vorher genau zu wissen ob- und an welchem Ziel man damit ankommt.
Mut bedarf es aber nicht nur beim Unbekannten, sondern auch wenn wir genau wissen, dass etwas hart wird, wir über uns hinauswachsen müssen, den Drahtseilakt kennen und es trotzdem machen.
Was ist Mut eigentlich? Drei Gedanken dazu:
Ohne Angst kein Mut.
„Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Erkenntnis, dass Etwas wichtiger ist, als Angst.“ (Ambrose Redmoon) Wenn wir mutig sind, überwinden wir unsere Furcht vor etwas. Vor was wir uns fürchten, ist unterschiedlich. Manche haben Angst vor Spinnen, Prüfungen und der Liebe. Andere haben Angst vor Krankheit, Aliens oder der Zukunft.
Wir fürchten uns oft vor Veränderungen, davor etwas Neues zu beginnen, davor etwas Sicheres, Altes, Gewohntes hinter uns zu lassen. Mut ist anzufangen, Mut ist den ersten Schritt zu wagen. Mut ist die Empfangsbereitschaft auf neuen Frequenzen.

Mut ist auch bei Rückschlägen durchzuziehen.
„In diesem Leben ist jeder mutig, der nicht aufgibt.“ (Paul McCartney)
Was auch immer wir anpacken, es kommt der Punkt an dem wird die Sache unbequem, etwas läuft nicht wie geplant, das Umfeld reagiert ablehnend, ein neues Verhalten trägt nicht die erwarteten Früchte. Stetige Disziplin, auch Abhyasa im Yoga genannt, lehrt uns, unsere Komfortzone zu verlassen und durch Rückschläge nicht den Glauben an unser Tun zu verlieren. Ein Feigling denkt in herausfordernden Momenten mit den Beinen. Wer mutig ist, benutzt sie um fest verwurzelt für seine Überzeugung einzustehen.
Mut liegt zwischen Demut und Hochmut.
„Zwischen Hochmut und Demut steht ein drittes, dem das Leben gehört, und das ist der Mut.“ (Theodor Fontane)
Lebendig sein hat mit Mut zu tun, denn ohne Mut gibt es keine Erfahrung und Entwicklung. Davor kommt eine verfälschte Form von Demut. Im Yoga ist Demut generell eine anzustrebende Gemütshaltung, wenn es z.B. darum geht Dankbarkeit, statt leidbehaftete Problemorientierung zu kultivieren. Auch wenn wir versuchen unsere persönlichen Handlungsfelder darauf zu konzentrieren, was tatsächlich in unserer Macht liegt, ist es wichtig manche Dinge, so wie sie sind anzunehmen, um nicht unnötig Energie zu verschwenden.
Dies kann in weiterer Folge, wenn wir es übertreiben, aber auch zu Lethargie führen, begleitet von Gedanken wie „Ich kann eh nichts bewirken“. Wir ergeben uns dem Status Quo, auch wenn wir ihn nicht mögen. Wir akzeptieren die Dinge als unveränderlich und suchen erst gar nicht nach persönlichen Handlungsspielräumen. Ursache dafür ist ein Ego das im Guna Tamas, der Trägheit, feststeckt. Dominiert Tamas unser Ego, kann es seinen Job nicht machen und hemmt dadurch die persönliche Weiterentwicklung.
Wir verweilen dann immer am selben Fleck, fühlen uns minderwertig und wundern uns, dass unser Horizont enger statt weiter wird.
Der Gegenpol zur Demut ist der Hochmut. Mit Hochmut leiden wir an Überheblichkeit. Wir glauben alles gesehen zu haben und alles zu können. Wir denken, wir kennen die Wahrheit und in der Welt gäbe es nichts Neues mehr zu entdecken. In diesem Zustand prägt das Guna Rajas unser Ego, die Getriebenheit. Es ist getrieben von der Vorstellung, dass wir der größte Mensch in einem Raum sein müssen. Dies setzt voraus, dass wir andere klein machen müssen und vorgaukeln von anderen nichts mehr lernen zu können. Durch diese geistige Überzeugung kommen wir ebenfalls nicht in Bewegung und benötigen demnach auch keinen Mut. Das Mutigste daran ist oft eine große Klappe.
Die Mitte zwischen Demut und Hochmut ist der Mut. Er resultiert aus dem Guna Sattva, dass von Klarheit getragen ist. In dieser Mitte findet das blühende Leben statt mit all seinen Entdeckungsmöglichkeiten und Wundern. Ohne Mut sind wir innerlich regungslos und unser Profil gleicht einer graden Linie. Unsere Herzfrequenz lebt aber von der Schwingung, andernfalls sind wir tot.
Wann im Leben sind wir am mutigsten?
Am mutigsten sind wir bis zum Alter von sieben Jahren und wenn wir Falten bekommen laut Caroline McHugh. Bevor wir sieben werden, sind wir grandios darin wir selbst zu sein und das ist das Mutigste im Leben überhaupt. Im Yoga Sutra 1.3 heißt es: „Dann ruht der Sehende in seiner Wesensidentität.“ (Bäumer) Dies ist das oberste Ziel von Yoga.
Vor dem Alter von sieben Jahren haben wir keine Ahnung wie wir uns verstecken könnten und wie wir unsere Persönlichkeit zurückhalten. Wir sagen, was wir denken, was wir wollen und laufen nackt am Strand herum. Wenn man eine Gruppe von 4-jährigen fragt „Wer ist am stärksten?“, zeigen alle überzeugt auf. Wenn man eine Gruppe von 7-jährigen fragt, dann zeigen Kinder auf jemanden. Zu dem Zeitpunkt wissen die Kids wer stark ist, wer lustig ist und wer schnell rennt.
Unser Mut schrumpft in dem Moment, wo wir uns mit anderen vergleichen
Zwischen fünf bis acht Jahren entwickeln wir ein „Selbstbewusstsein“. Ab da beginnen wir weniger gut darin zu sein, wir selbst zu sein. Wir entwickeln soziale Archetypen und vergleichen uns. Wir lernen durch z.B. die Schule oder Eltern, worin wir nicht gut sind und was wir uns besser nicht zutrauen sollten.
Der Mut man selbst zu sein wächst mit den Falten
Der zweite Mut begünstige Lebensabschnitt ist, wenn mehr Sommer hinter uns liegen als vor uns. Wenn wir tiefe Falten bekommen, scheren wir uns einen Dreck um Anpassung. Wir haben nicht mehr genug Zeit dafür. Alles wird intensiver und unser Geist wird bestenfalls fokussierter auf das Wesentliche. Der Illusion, dass wir Zeit hätten, erliegen wir nicht mehr. Wir werden ehrlicher, gehen nicht mehr auf jede Party und gehen weniger Kompromisse ein. Wir haben keine Lust mehr es allen recht zu machen.
Wir nennen solche Menschen exzentrisch. Genauer betrachtet, sind sie authentisch.
Was ist nun aber mit der Zeit dazwischen?
Zwischen 7 und 90 Jahren sind wir Schauspieler*innen
Ian McKellen (Gandalf/Herr der Ringe) lehrt im Schauspielunterricht, man solle sich seine Mitmenschen ansehen, wenn man sich etwas von guten Schauspielern abschauen will. Dann sehen wir, dass die Leute nicht einmal die Kleidung tragen, die sie mögen. Sie fragen sich Frühs was heute auf dem Programm steht und mit welcher Kleidung sie am besten hineinpassen.
Wie können wir auch in der Lebensmitte mutig sein?
Der mutige Zustand zwischen Demut und Hochmut ist unabhängig von anderen Menschen. In dieser Unabhängigkeit gedeiht Integrität. Wir reden bei Mut auch von Selbstüberwindung, im Grunde ist es das Gegenteil: Der Versuch man selbst zu sein! Dazu müssen wir uns trauen Dinge anders zu denken, anders zu tun, an unsere Visionen glauben, an uns selbst glauben, uns von Zurückweisung nicht ablenken lassen, Gewohnheiten ändern, Entscheidungen autonom treffen und nicht nur mit Blick darauf was andere von uns erwarten.
Wenn man nun aber wie Kolumbus auf den unerforschten Ozean hinausfährt, kommt Angst auf, denn man weiß nie, was geschehen wird. Man verlässt das sichere Ufer, obwohl es einem dort eigentlich ganz gut ging. Nur eines fehlte: das Abenteuer. Mut ist nicht für alle Menschen gleichermaßen eine Lebensmaxime. Bei manchen kitzelt aber hier und da ein Verlangen im Herzen und dem zu folgen ist jede Reise wert. Die Angst ist zwar oft Begleiter dieses Kitzelns, doch wenn wir uns der Herausforderung immer wieder stellen, verschwindet sie allmählich. Es wächst der Mut mit der Gelegenheit, heißt es.
Wir müssen uns bewusst machen, dass wir uns in jedem Moment, in dem wir die Angst über den Mut siegen lassen, wertvolle Erfahrungen stehlen. Wozu ist das Leben aber da, wenn nicht dazu Erfahrungen zu machen?
Krishna sagt zu Arjuna in der Bhagavad Gita: „Ich weiß, du bist überrascht, dass ich dir gegenüber keinerlei Bedauern zeige, aber du darfst dieser Schwäche nicht nachgeben! (…) Befreie dich von dieser Kleinmütigkeit. (Hawley)
Diese Befreiung erfordert unsere Geduld, Beharrlichkeit und unsere Willenskraft. Mut ist ein Keim, den jeder in sich trägt. Wir entscheiden uns jeden Tag aufs Neue, ob wir ihn wässern oder nicht. Man bereut im Leben bekanntlich nur die Dinge, die man sich nicht getraut hat, also hol deine Gießkanne raus und auf ins Abenteuer!